GEA 07/2011

30.07.2011

GALERIEN AKTUELL  – Michael Broszius im Klinikum am Steinenberg Reutlingen

Raffiniertes Spiel mit vielen Ebenen

Normalerweise lässt ein Bild den Blick nur bis zur bemalten Schicht vordringen. Nicht so bei Michael Broszius, der derzeit auf Ebene 6 West im Reutlinger Klinikum ausstellt. Seine Objektkästen sind im Grunde Bilder, die den Blick nicht nur scheinbar, sondern tatsächlich in die Raumtiefe dringen lassen.

Während das Kino 3D als Effektschlacht vorführt, ist für Michael Broszius die dritte Dimension Anlass für einen Dialog von Fläche und Tiefe auf kleinstem Raum. Er verwendet einfache Mittel, das aber sehr raffiniert – gerade das macht den Reiz aus. Mal sind mehrere Glasebenen bemalt und hintereinander gestaffelt. Dann dringt der Blick wieder in einen Dschungel bemalter Papierfragmente ein. Hier lässt milchiges Glas die tieferen Schichten von Papierstreifen in einem Nebel verschwinden. Dort wirft eine bearbeitete Spiegelfolie das Bild des Betrachters auf gebrochene Weise zurück. Und am Grund der Kästen entwickeln die Schatten der weiter vorne liegenden Strukturen ihr spezifisches Eigenleben.

Texte bringen eine weitere Ebene hinein. Broszius hat sie seinem Gedichtband »Die Schranke im Kopf« entnommen. Manche der Texte thematisieren das Tourette-Syndrom mit seinen unwillkürlichen Ticks, unter dem der Künstler und selbstständige Grafiker leidet.

Im Gegensatz zu seinem Gedichtband ist die Tourette-Sache in der Ausstellung aber nur ein Randthema. Im Vordergrund steht die Lust am experimentellen Spiel mit Farbe und Form. Broszius hat eine besondere Art entwickelt, Farbe zu verarbeiten, indem er sie zwischen zwei Blättern von Büttenpapier zerreibt. Das ergibt eine eigentümlich raue Oberfläche – und es entstehen jeweils zwei spiegelverkehrte, nie ganz identische Exemplare. Ein größerer Teil der Ausstellung beschäftigt sich damit, diese beiden ungleichen Zwillinge in Dialog treten zu lassen. Teilweise treffen sie als Ebenen in einem der Objektkästen aufeinander. Oder Broszius stellt sie als »flache« Bilder einander gegenüber, wobei oft einer der Zwillinge gegenüber dem anderen gedreht ist. Die Frage nach Identität und Eigenständigkeit wird auf diese Weise leichtfüßig durchgespielt. Den dritten Bereich bilden größere abstrakte Kompositionen auf Leinwand. Broszius verteilt hier die Acrylfarbe oft mit einer Walze, die wie eine Musterwalze eingesetzt wird. Auf diese Weise wiederholen sich bestimmte Fleckenstrukturen regelmäßig. Die Verflechtung der Farbbänder und die Wiederkehr von Strukturen gibt den Bildern eine dynamische Netzstruktur. Demgegenüber stehen Arbeiten, in denen sich die Farbe, Acryl oder Öl, zu großen Flächen verdichtet, die den Blick hypnotisch aufsaugen.

Eine vielfältige Ausstellung voller liebevoller Details und immer neuer Ideen. Zu sehen sind die Arbeiten von Broszius bis 10. September auf Ebene 6 West des Reutlinger Klinikums am Steinenberg, jeweils zu den üblichen Öffnungszeiten des Klinikums. (GEA)