GEA 05/2013

10.05.2013

 

Michael Broszius schreibt Gedichte und Texte und setzt sich so mit seiner Krankheit auseinander.

 

Tourette-Syndrom: Über die Schranke im Kopf

ENINGEN. »Das bin ich und das passt«, sagt Michael Brozius heute. Die Narkose bei einer Mandeloperation löste bei dem damals Sechsjährigen eine Krankheit aus – das Tourette-Syndrom. Der heute 37-Jährige hat gelernt, seine Krankheit zu akzeptieren, sie gar auf die Schippe zu nehmen. Die dabei entstandenen Gedanken, Gedichte und Aphorismen hat er in seinem ersten Buch »Die Schranke im Kopf« verarbeitet. Daraus las der Grafiker und Autor in der Buchhandlung Litera in Eningen vor.

Michael Broszius schreibt nicht nur, er setzt seine Gedichte auch künstlerisch in Szene. Umrahmt mit gemalten, geritzten, geschnittenen und bunten Elementen aus Büttenpapier oder anderen Materialien, sind sie in der Buchhandlung ausgestellt. Aber nicht nur Bilder, auch Fotografien hatte Broszius zur Lesung mitgebracht.

Plötzliche Bewegungen

»Ich bin anders« heißt das erste Gedicht, das er dann vorlas. Darin beantwortet er die Frage: Was ist das Tourette-Syndrom überhaupt? »Ich ticke anders, ich bewege mich anders und ich ticke anders als die Anderen. Das etwas Andere an mir macht mich jedoch aus … Ich habe Tourette.« Dann kommt von ihm die wissenschaftliche Erklärung: Tourette ist eine neuropsychiatrische Erkrankung, die durch das fachsprachliche Wort »Tics« charakterisiert wird. Diese »Tics« sind unwillkürliche, schnelle, meistens heftige und plötzliche Bewegungen und manchmal auch verbale Äußerungen. Sie können einzeln oder serienartig auftreten.

Seine Tochter Marlene sei acht Jahre alt, erzählt er. Vor drei Jahren fragte sie ihn, warum er den Kopf so unkoordiniert bewege. Broszius erklärte ihr seine Krankheit. Sie hatte für ihren Papa schnell einen Rat parat. »Halte doch den Kopf mit den Händen fest«.

Gefühle als Kind

Er meinte darauf hin, dass er diese doch für andere Dinge bräuchte. »Dann bau dir doch eine Schranke im Kopf«, war ihre schlagfertige Antwort. Diesen Gedanken fand Broszius so schön, dass er seinem ersten Buch diesen Titel gab.

Seine Gefühle als Kind beschreibt er in dem Gedicht »Der Drache im Wind«. Darin geht es um die Einsamkeit durch die Tourette-Erkrankung. Er erzählt, wie sehr er darunter gelitten hat und über den Umgang mit der Krankheit innerhalb der Familie und in der Schule.

»Bei vielen Tourettekranken wird es in der Pubertät besser. Bei mir war das leider nicht so.« Jetzt, mit 37 Jahren, bemerke er aber eine deutliche Besserung. Mit ruhiger Stimme trägt er seine Gedichte vor. Mal sind sie hintergründig, mal ironisch, manchmal traurig, dann aber auch wieder lustig. Das Publikum schmunzelt oder lacht laut heraus wie bei dem Gedicht »Uhrmacher«.

Er arbeitet mit Wortspielen: »Nur weil ich nicht richtig ticke, muss ich nicht gleich zum Uhrmacher«, beschreibt er hier auch die Reaktionen seiner Umwelt: »Viele urteilen, in dem sie lachen. Urteilen mit Blicken, mit Kommentaren und mit Verachtung. Aua – das tut jedes Mal aufs Neue weh.«

Broszius kommt mit seiner »kreativen« Krankheit (wie er sie selbst bezeichnet) inzwischen gut klar: »Ohne diese Krankheit würde ich jetzt nicht hier sitzen«, oder wie er es im Gedicht Tourette 2 formuliert: »Tourette ist eigentlich nicht schlimm, Tourette ist eigentlich ganz witzig.« Er lebt und arbeitet in Wannweil als Grafikdesigner mit seiner eigenen Werbeagentur. In diesem Jahr hat er noch vier bis sechs Ausstellungen geplant. Ein zweites Buch hat er bereits angefangen. (sre)